„Eine notwendige Erkenntnis ist,
dass das, was unter Sexualität verstanden und als Sexualität gelebt wird,
einem ständigen kulturellen Prozess der Umkodierung,
Transformation und Umwertung und damit einer ständigen Veränderung unterliegt.
Dem Alltagsbewusstsein aber scheint es immer noch so,
als sei die Sexualität ihrer Struktur nach eine unveränderbare,
von Natur gegebene Einheit.
Tatsächlich aber ist sie ein veränderbar Zusammengesetztes.“ (Sigusch)


Auch wenn sexuelle Störungen als leidvoll erlebt werden,

machen sie doch oft einen Sinn, erfüllen eine Funktion,
können bestensfalls zu kreativen Lösungen führen,
eine Partnerschaft möglicherweise stabilisieren.
Manchmal sind sie die Lösung, nicht das Problem.

 

Einteilung der Beschwerdebilder nach ICD-10
Das ICD-10 wird von der WHO (Welt Gesundheitsorganisation) veröffentlicht dient als Diagnoseklassifikationssystem der Medizin. Es bildet ein Verzeichnis aller anerkannten Krankheiten des Menschen.

Im ICD-10 wird nach sexuellen Funktionsstörungen, die nicht durch eine organische Störung oder Erkrankung verursacht sind (F52), Störungen der Geschlechtsidentität (F64) und Störungen der Sexualpräferenz (F65) unterschieden.

Zu den sexuellen Funktionsstörungen gehören zum Beispiel:

  • F52.0 Mangel oder Verlust von sexuellem Verlangen
  • F52.1 Sexuelle Aversion (Abneigung) und mangelnde sexuelle Befriedigung
  • F52.2 Versagen genitaler Reaktionen
  • F52.3 Orgasmusstörungen
  • F52.4 Ejaculatio praecox (vorzeitiger Samenerguss)
  • F52.5 Nichtorganischer Vaginismus (unwillkürliche Verkrampfung des Beckenbodens, was sogar gynäkologische Untersuchungen unmöglich machen kann)
  • F52.6 Nichtorganische Dyspareunie (schmerzhafter Geschlechtsverkehr)
  • F52.7 Gesteigertes sexuelles Verlangen
  • F52.8 Sonstige nicht organische sexuelle Funktionsstörungen


Sexualtherapeutische Behandlungsmethoden
Sie können in der Einzeltherapie oder in der Paartherapie Hilfe bei ihren sexuellen Problemen finden.


Einzeltherapie
Das einzeltherapeutische Vorgehen bei sexuellen Problemen orientiert sich an der Informationserhebung, Problemanalyse, Zielfestlegung, Therapieplanung und Durchführung der therapeutischen Interventionen (Behandlungsmethoden).

Die therapeutische Planung orientiert sich im Regelfall an den aufrechterhaltenden Bedingungen (Problemanalyse) und den besprochenen therapeutischen Zielen (Zielanalyse). Folgende therapeutische Ansatzpunkte und Zielsetzungen leiten sich daraus häufig ab:

  • Bewältigung negativer Emotionen wie z.B. Angst, aversive Gefühle, Befürchtungen vor Versagen, Schuldgefühle, Ekel, übermäßige Scham etc.
  • Kompetenzerweiterung wie z.B. Erlernen von Zärtlichkeitsverhalten, Konfliktfähigkeit, äußern von Wünschen und Bedürfnissen, Reflexion des eignen Verhaltens in einer partnerschaftlichen Sexualität
  • Förderung sexueller Lust
  • Wissenserweiterung, Veränderung von Kognitionen und Einstellungen wie z.B. Behebung von Informationslücken über sexuelle Abläufe beim Mann und bei der Frau, Wissen um sexuelle Reaktionen, Funktionen, Stellungen etc., Entzaubern und Verändern von Mythen, Arbeit an Normen und Schuldgefühlen, Verändern von Aufmerksamkeitslenkung in der sexuellen Situation
  • Entwicklung positiven (Körper- und Sexual-) Erlebens z.B. durch körperliche Selbstakzeptanz, Körperwahrnehmung, Zulassen von Lust und Luststeigerung, genussvolle Erfahrung durch das Zulassen und Erleben sexueller Fantasien mit Entspannung
  • Förderung und Stärkung der sozialen Kompetenz wie z.B. das sozialer Verhalten in der Partnerschaft und in der partnerschaftlichen Sexualität, Förderung konstruktiver und offener Kommunikation, Wünsche äußern und auch NEIN sagen können.

Zahlreiche psychotherapeutische Verfahren und Methoden können in der Einzeltherapie beim Erreichen der beschriebenen Zielsetzung hilfreich sein . dazu gehören u.a.

  • Verfahren zum Angstabbau: graduierte konfrontative Verfahren in der Vorstellung (z.B. Angstbewältigungstraining)
  • Körperorientierte Verfahren zur körperlichen und sexuellen Selbsterfahrung z.B. Spiegelübungen, Tasten und Erkunden des Körpers, Wahrnehmung und Erleben des eigenen Körpers und der Körperreaktionen
  • Kognitive Verfahren zur Bearbeitung von Informationsdefiziten und Mythen, zur Veränderung von Leistungs- und Versagensangst, zur Veränderung der Aufmerksamkeitslenkung und negativer automatischer Gedanken, zur Behebung von Kommunikationsstörungen, zum „Erlauben“ der sexuellen Störung, zur Entlastung und Enttraumatisierung
  • Fantasiearbeit zur Veränderung negativer Gefühle, zur Förderung positiven Erlebens, zur Auseinandersetzung mit der sexuellen Orientierung, zur Erlangung positiver Einstellungen zur eigenen Sexualität und zur Sexualität in der Partnerschaft
  • Emotionsaktivierende Verfahren, die problemfördernde Gefühle ins Zentrum der therapeutischen Arbeit stellen. Dabei wird die mittlerweile unumstrittene Auffassung berücksichtigt, dass die emotionale Verankerung neuer Erfahrungen wirkungsvoller ist als die alleinige kognitive Verbindung.
  • Soziale Kompetenztherapie zur Stärkung von Lernprozessen zum Aufbau und zur Gestaltung sozialer Beziehungen, zum Äußern von Wünschen, zum Ansprechen von Konflikten, zur Veränderung von Geschlechtsrollenverhalten, zur Stärkung der sozialen Sicherheit in sexuellen Interaktionen, zum Lernen, Grenzen zu ziehen etc.
  • Genusstraining zum Aufbau und zur Förderung genussvoller Aktivitäten und genussvollen Verhaltens, zur Sensibilisierung und zur Fähigkeit, genießen zu können
  • Verfahren und Übungen zur Emotions- und Erlebensaktivierung


Paartherapie
Die klare Unterscheidung zum einzeltherapeutischen Vorgehen liegt in den Partnerübungen, die zur direkten Behandlung der sexuellen Störungen in den Therapiesitzungen besprochen, vorbereitet und nachbereitet und von dem Klientenpaar zu Hause gemeinsam durchgeführt werden. Dabei lernen die Partnerinnen und Partner schrittweise Ängste in der sexuellen Interaktion abzubauen und neue positive sexuelle und partnerschaftliche Erfahrungen zu machen. Dieses erlebnisorientierte Vorgehen hilft, das Verhaltensrepertoire zu erweitern und problemfördernde Kognitionen zu erkennen und zu korrigieren.

Viel Zeit wird verwendet für die Klärung und Bearbeitung von Schwierigkeiten, die während der Übungen zu Hause auftreten.

Je nach Art der sexuellen Probleme und Ausprägungen, ob beim Mann oder bei der Frau, gibt es eine Reihe zusätzlicher Übungen und Verfahren, die ergänzend auf die Bewältigung der jeweiligen Problematik bzw. Funktionsstörung ausgerichtet sind.


Therapeutische Beziehung
Die therapeutische Beziehung in der Sexualberatung und –therapie ist eine Arbeitsbeziehung, die in der Anfangsphase, der Veränderungs- und der Abschlussphase der Behandlung unterschiedliche Gestaltung hat.

  • Ich bin offen für jede Art sexueller Probleme. In der Anfangsphase geht es darum eine vertrauensvolle Beziehung und Atmosphäre aufzubauen.
  • In der Veränderungsphase geht es vor allem darum, die Klienten oder die Paare kompetent in Übungen anzuleiten sowie Probleme und Störungen sensibel aufzugreifen.
  • In der Abschlussphase steht die rechtzeitige Vorbereitung der Ablösung des Klienten vom Therapeuten im Vordergrund.

Für jede Phase der Behandlung ist es entscheidend, dass zwischen Therapeut und Klient bzw. beiden Partnern eines Paares eine vertrauensvolle Beziehung besteht. Aus der therapeutischen Beziehung sollte der Klient das (Selbst-) Vertrauen gewinnen, das er braucht, um die emotionalen Risiken des Behandlungsprozesses zu tragen und seine Abwehr aufgeben zu können.

Wenn ein Klient oder eine Klientin nicht in einer Partnerschaft lebt, stehen keine sogenannten Ersatzpartner zu Verfügung. In der Therapie kann jedoch an Kompetenzen zum Aufbau und zur Gestaltung von Beziehungen, am Abbau der Fixierung auf Partnersuche und an dem Ertragen von Alleinsein und Einsamkeit gearbeitet werden.

Aus ethischen und immanenten Gründen stehen Therapeuten und Therapeutinnen für sexuelle Aktivitäten mit ihren Klienten nicht zur Verfügung.